Eine Neuerung der neuen Graduierungsordnung sind die sog. Niveaustufen. Diese wurden mit dem Ziel eingeführt, die Ausführungsqualität zu objektivieren.
Hierzu hat der DJB Niveaustufen von 1 bis 4 definiert:
- Niveaustufe 1: „erkennbare Umsetzung der Technik mit deutlichen funktionellen Schwächen“
- Niveaustufe 2: „weitgehende Umsetzung des technischen Prinzips bei moderater Ausführungsgeschwindigkeit“
- Niveaustufe 3: „vollständige Umsetzung des technischen Prinzips bei dynamischer Ausführungsgeschwindigkeit“
- Niveaustufe 4: „Die Ausführung erfolgt fast immer präzise ohne erkennbare Ungenauigkeiten nahe der Perfektion“ (Definition für Kata Demonstrationen)
Die Niveaustufe 1 ist nur bis zum 4. Kyu und ab dem 3. Kyu für Techniken des sog. Erweiterungsprogramms ausreichend. Die Niveaustufe 4 wird weder
für den Kyu- noch Dan-Bereich gefordert. Die Niveaustufen 2 und 3 sind bei Dan-Graduierungen wie folgt gefordert:
- 1. Dan: Techniken des sog. Kyu-Grundprogramms sowie der Katame-waza sind auf Niveaustufe 3 zu demonstrieren. Für die übrigen Bereiche ist die
Niveaustufe 2 ausreichend.
- 2. Dan: Alle Techniken der Gokyo sowie der Katame-waza müssen auf Niveaustufe 3 demonstriert werden. Für Techniken der Shinmeisho-/Habukareta-waza
sowie für die Kata sind die Niveaustufe 2 ausreichend.
- 3. Dan: Mit Ausnahme der Kata, die mit Niveaustufe 2 demonstriert werden muss, wird für alle Techinken die Niveaustufe 3 gefordert.
Sowohl die Wurftechniken der Gokyo als auch der Shinmeisho-/Habukareta-waza sind "aus freien Interaktionen" zu präsentieren. Mit Interaktion ist das wechselseitige
Aufeinandereinwirken von Tori und Uke gemeint.
Zweiphasige Interaktionskette: Von einer zweiphasigen Interaktionskette wird gesprochen, wenn Tori auf eine Aktion von Uke reagiert ("wenn -> dann"). Folgende
Beispiele stellen eine zweiphasige Interaktionskette dar:
- Uke drückt und geht vorwärts -> Tori übernimmt den Druck, geht rückwärts, dreht sich ein und wirft.
- Uke drückt stark -> Tori wirft Tomoe-nage
- Uke steht in starker Vorlage (vorgebeugt) -> Tori greift über Ukes Schulter in dessen Gürtel und wirft Hikikomi-gaeshi
- Uke steht in starker Auslage -> Tori fegt oder sichelt das vordere Bein
- Uke dreht sich ein -> Tori kontert
- Uke bewegt sich seitlich -> Tori fegt Okuri-ashi-harai
Auch Kumi-kata stellt eine Interaktion dar:
- Uke will Tori mit seiner Führhand greifen und kommt dazu einen Schritt nach vorn -> Tori nutzt das und setzt bspw. eine Eindrehtechnik, einen Fußfeger oder eine Stopptechnik an.
- Tori löst Ukes Griff, kommt so zu einer Griffüberlegenheit und setzt eine Technik an.
Mehrphasige Interaktionskette: Eine mehrphasige Interaktionskette liegt vor, wenn Tori agiert, Uke reagiert und daraufhin Tori reagiert.
Häufig ist Toris Aktion darauf ausgerichtet, um von Uke eine spezifische Reaktion zu provozieren:
- Tori schiebt Uke nach hinten, um diesen dazu zu bewegen, dagegen zu drücken ("Druck erzeugt Gegendruck"). Tori nutzt diesen Druck aus, um bspw. mit einer
Eindrehtechnik oder einer Technik aus der Sutemi-waza zu werfen.
- Tori setzt eine Finte an, um Uke in eine andere Auslage zu bringen (von Ai-yotsu nach Kenka-yotsu oder umgekehrt). Tori wirft dann bspw. mit einer passenden Eindrehtechnik.
- Tori täuscht zum Schein eine Eindrehtechnik an, um Uke zu einem Blocken zu bewegen. Tori nutzt das Blocken aus und wirft dann bspw. mit Tani-otoshi nach hinten.
- Tori zieht Uke am Revers impulsartig nach unten, um Uke zu einem reflexartigen Aufrichten zu bewegen. Tori nutzt den entstandenen Raum, um bspw. mit Seoi-nage zu werfen.
Alle Wurftechniken sind aus einer solchen zwei oder mehrphasigen Interaktionskette zu demonstrieren!
Ein stupides Vorwärts- oder Rückwärtsgehen im abgestimmten Gleichschritt, ohne Tori oder Uke zieht oder drückt, ist keine Interaktion. Es sollten auch keine einstudierten Schrittfolgen präsentiert werden.
Gefordert sind vielmehr sich dynamisch ergebene Situationen. Das Rückwärts- oder Vorwärtsgehen - unabhängig davon, ob Tori selbst zieht bzw. drückt oder aber Tori dem Zug
oder Druck von Uke folgt - sind hingegen Interaktionen. Alle Techniken der Nage-no-kata stellen Interaktionen zwischen Tori und Uke dar. Entsprechend kann man Techniken ähnlich
wie in der Nage-no-kata präsentieren. Eine Interaktion bedeutet nicht zwangsläufig eine Bewegung mit vielen Schritten. Zug oder Druck die zur Verlagerung des Schwerpunkts
und ggf. zu einem Korrekturschritt von Uke führen, sind bereits Interaktionen.
Da man eine bestimmte Technik demonstrieren möchte, kann die Interaktion und gewünschte Reaktion von Uke mit dieseme abgestimmt werden. Bspw.:
"Ich drücke und schiebe Dich nach hinten, Du drückst zurück und stoppst mich, ich werfe Tomoe-nage". Bei Würfen, die eine besondere Reaktion bedingen, sollte eine
solche Abstimmung bereits im Training geübt werden. Bei der Demonstration der Nage-waza während der Prüfung ist es erlaubt, mit Uke zu sprechen und sich vor dem
jeweiligen Wurf kurz abzustimmen.
Die Anforderung "aus freier Interaktion" sollte nicht überinterpretiert werden. Eine Kampf- oder Randori-ähnliche Demonstration von Wurftechniken ist nicht sinnvoll.
Denn eine Technik gegen Widerstand durchzubringen, geht i. d. R. auf Kosten der Qualität. Es ist auch nicht Ziel, Uke möglichst kraftvoll zu werfen. Auf zu komplexe,
nahezu kreativ konstruierte Interaktionen sollte man ebenfalls verzichten. Denn bei zu komplizierten Ansetzen, ist das Risiko für das Scheitern der eigentlichen Zieltechnik
größer. "Interaktionen", bei denen viele Schritte über die Matte gegangen werden, sind unrealistisch. Denn Judoka ändern ihre Position eher gering und sehr kontrolliert, um
ihre eigene Stabilität beizubehalten.
Eine Interaktion ist für die Prüfung geeignet, wenn sie realistisch und nicht zu komplex ist und zu einer guten Ausgangssituation für eine Technik führt. Tendenziell empfiehlt
sich hier "keep it simple".
Uke kann und sollte kooperieren, indem er nicht sperrt und auch keinen übermäßigen Widerstand erzeugt. Er sollte auf Toris Aktionen hin angemessen und unterstützend reagieren, aber nicht
mitspringen.
Die Demonstration einer Technik ist gut, wenn die Wurfphasen Gleichgewichtsbruch (Kuzushi), Wurfvorbereitung (Tsukuri) und die Wurfausführung (Kake) gut
erkennbar sind und sie das technische Prinzip weitgehend (Niveaustufe 2) bzw. vollständig (Niveaustufe 3) umsetzt. Alle wesentlichen Merkmale der Technik sollten
deutlich erkennbar sein.
Die für den 1. bis 3. Dan geforderten „Techniken der Gokyo-no-waza“ entsprechen den Würfen der Kodokan Gokyo von 1920, welche in der folgenden Tabelle
aufgeführt sind. Für die einfachere Zuteilung der Niveaustufe haben wir die Würfe in die Bereiche Grund-, Erweiterungs- und Masterprogramm aufgeteilt:
Grundprogramm
O-soto-gari
O-uchi-gari
O-goshi
Sasae-tsurikomi-ashi
Koshi-guruma
Ko-uchi-gari
Ippon-seoi-nage 1
Morote-seoi-nage
De-ashi-harai
Uki-goshi
Tsurikomi-goshi
Harai-goshi
Uchi-mata
Tai-otoshi
Ko-soto-gake
Sode-tsurikomi-goshi 1
Erweiterungsprogramm
Okuri-ashi-harai
Kata-guruma
Tomoe-nage
Ashi-guruma
Tsuri-goshi 2
Sumi-gaeshi
Utsuri-goshi
Soto-makikomi
Uki-otoshi
Tani-otoshi
Ura-nage
Ko-uchi-makikomi 1
Masterprogramm
Ko-soto-gari
Hiza-guruma
Harai-tsurikomi-ashi 2
Yoko-otoshi
Hane-goshi
Hane-makikomi
Sukui-nage 2
O-guruma
Yoko-gake
Sumi-otoshi 2
Ushiro-goshi
Yoko-guruma
Yoko-wakare 2
Uki-waza 2
O-soto-guruma 2
1 Im Grund- oder Erweiterungsprogramm enthalten, aber nicht Bestandteil der Gokyo (nur der Vollständigkeit halber aufgelistet)
2 7 Würfe für den 1. Dan nach alter Prüfungsordnung (nur informativ)
Alle Techniken der Katame-waza sollen mit Niveaustufe 3 beherrscht werden. Für den 1. Dan müssen alle Techniken des Grund- und Erweiterungsproramms für den
2. und 3. Dan auch die Techniken des Masterprogramms gekonnt werden:
Grundprogramm
Erweiterungsprogramm
Masterprogramm
Osaekomi-waza
Kesa-gatame
Yoko-shiho-gatame
Kami-shiho-gatame
Tate-shiho-gatame
Kuzure-kami-shiho-gatame 1
Uki-gatame
Ushiro-kesa-gatame
Ura-gatame
Kuzure-kesa-gatame 1
Kata-gatame
Kansetsu-waza
Ude-garami 2
Juji-gatame
Waki-gatame
Ude-gatame
Hiza-gatame
Hara-gatame
Ashi-gatame
Sankaku-gatame
Shime-waza
Gyaku-juji-jime 5
Hadaka-jime
Okuri-eri-jime (Koshi-jime) 3
Okuri-eri-jime
Kataha-jime
Sode-guruma-jime 4
Tsukkomi-jime
Sankaku-jime
Nami-juji-jime 5
Kata-juji-jime 5
Ryote-jime
Katate-jime
1 Kuzure-kami-shiho-gatame und Kuzure-kesa-gatame sind die beiden einzigen Haltegriffvarianten, die der Kodokan als eigenständige Techniken ansieht.
Entsprechend müssen die Technik Kami-shiho-gatame und Kesa-gatame in ihrer Grundform demonstriert werden. Alle übrigen Haltegriffe können entweder in ihrer
Grundform oder als Variante präsentiert werden.
2 Die Hebeltechnik Ude-garami wurde bisher fälschlicher Weise mit "Armbeugehebel" übersetzt. Mittlerweile werden unter Ude-garami alle Hebeltechniken
mit Umschlingungen zusammengefasst. Damit fallen die meisten Kanuki-gatame-Techniken unter Ude-garami. Andere bisher als Ude-garami aingestufte Techniken ohne eine
Umschlingung sind strenggenommen nicht mehr dem Ude-garami, sondern vielfach dem Te-gatame zuzuordnen. Aufgrund der einschneidenden Änderungen der Nomenkaltur soll hier
jedoch tolerant geprüft werden.
3 Die Technik Koshi-jime ist in der Nomenklatur des Kodokan keine eigenständige Technik. Sie wird, obwohl einseitig, der Technik Okuri-eri-jime zugeordnet.
Im Dan-Programm kann entsprechend für Okuri-eri-jime entweder ein normaler Okuri-eri-jime oder auch ein Koshi-jime demonstriert werden. Um Meinungsverschiedenheiten
aus dem Weg zu gehen, sollte man beides beherrschen.
4 Die Würgetechnik Sode-guruma-jime wurde bisher der Gruppe Hadaka-jime zugeordnet. Sie ist jetzt als eigenständige Technik anzusehen.
5 Die Würgetechniken Gyaku-juji-jime, Nami-juji-jime und Kata-juji-jime werden in der Nomenklatur des Kodokan getrennt aufgeführt. Diese Techniken müssen
für den Dan-Bereich entsprechend differenziert und gekonnt werden.